Impressionen (in Auszügen)
Auszüge Text:
Alle Schulungen dieser Welt, die auch nur im Entferntesten mit Psychologie zu tun haben, werden vermitteln, dass es unheimlich wertvoll ist, etwas über sich selbst zu erfahren. Es soll total bereichernd sein, wenn andere erzählen, wie Scheiße sie einen finden.
Und das nicht nur einmal. Im Verlauf einer kleineren Schulung zu diesem Thema, also knapp vier Tage, werden Sie diese Weisheit gefühlt achtzigmal hören – und das nur gefühlt, weil Sie zwischendurch abgestumpft oder akustisch abgestorben sind. In Ihrem Kopf wird die Windows-Melodie für das Herunterfahren abgespielt. Tatsächlich wird dieses Mantra weit mehr als hundertmal dahingeschmettert, weil es doch ach so wichtig ist.
Ich hatte natürlich auch mal so eine Schulung – ich habe ja im Berufsleben auch mit anderen Menschen zu schaffen. Vollkommen indoktriniert von der hohlen Wiederholung dieser Phrase habe ich dieses Wissen natürlich auch angewendet. Nun, was soll ich sagen… etwas über sich selbst zu erfahren ist total beschissen.
Im Grunde genommen ist doch ein Spiegel ausreichend, da erfahre ich schon viel über mich selbst.
Aber wenn andere Personen ihren Senf dazugeben, dann wird es spannend. Dieses „Feedback“-Ding ist übrigens eine reine Einbahnstraße. Rückmeldung zur eigenen Person direkt mit der gleichen Vergeltung, bezogen auf das Gegenüber, zu quittieren ist absolut unerwünscht und führt zu starken Spannungen innerhalb der sozialen Einheit.
Ein typisches Gespräch dazu sieht wie folgt aus:
„Du bist ein netter Kerl (autsch #1), und arbeitest sehr angestrengt (autsch #2), aber manchmal (Anm.: also immer) bist du ein wenig (Anm.: also sehr) zu verbissen bei der Sache. Aber als Kollege bist du eine echte Bereicherung (Anm.: also „du Arschloch“ und autsch #3)!“
Natürlich wollte ich der anderen Person brav für diese Eingebungen danken und habe gesagt:
„Und du bist hässlich.“
Seitdem war die Stimmung irgendwie nicht mehr dieselbe. Alles nur wegen des tollen Feedbacks und psychologischer Gedankenbildung. Man soll einfach nebeneinander her arbeiten und sich im Stillen hassen, so wie das jeder macht. Funktioniert doch prima.
So konnte ich feststellen, dass selten bis kaum zum selben Thema nachgefragt wurde, wenn die entsprechende Antwort überzeugend dargeboten wurde. Ein gewisses rednerisches und schauspielerisches Talent ist gefragt. Ohne – nun ja, dann viel Glück. Ohrstöpsel sind keine Antwort und auch keine adäquate Reaktion, glauben Sie mir.
Spätestens, wenn Sie beantworten müssen, warum Sie jetzt die Frage des Kindes nach der Herkunft der Babys eben nicht beantworten, sondern erst, wenn es älter ist (und dabei hoffen, dass das Kind diese Frage bis dahin wieder vergessen wird), dann müssen Sie im Vorfeld schon tagelang ihr Poker-Face geübt haben. Die Geschichte mit den Bienchen und Blümchen überzeugt kein Kind: sie mögen klein sein, aber sie sind nicht blöd.
Auch der Klapperstorch wirkt nicht mehr überzeugend, nachdem ein Kind diesen mal irgendwo, und sei es auf einem Bild, gesehen hat. Das Kampfgewicht bei der Geburt von gut und gerne 3 ½ Kilo kann kein Storch der Welt transportieren, das wissen auch Kinder.
Auch die Weitergabe von Wissen an ein Kind mündet, wie wir schon gelernt haben, oftmals in unberechenbarem Verhalten. Spannend wird es dann, wenn eigentlich als produktiv anerkannte Fertigkeiten zweckentfremdet werden, oder aber geeignet sind, den gemeinsamen Haushalt in Chaos und Entbehrung zu stürzen.
Wenn Sie sich schon immer gefragt haben, woher dieser Kleinkrieg am Pool um Liegen und Sitzplätze kommt – alle haben dieses Verhalten angeboren bekommen. Wahrscheinlich gab es das schon früher an den Wasserstellen in der Savanne, nur ohne Stühle und Liegen.
Machen Sie es doch einfach wie der typische Deutsche: reservieren Sie mit einem Handtuch. Das schreckt Menschen offenkundig dermaßen ab, dass Sie ganze Hotelzüge bis zur depressiven Verzweiflung treiben können, wenn Sie im Urlaub einfach alle Handtücher aus der Hotel-Wäschekammer stehlen und früh um vier Uhr morgens alle Liegen reservieren.
Nicht, dass ich sowas jemals machen würde. Nicht nochmal.
Auszüge Fähigkeiten:

Befindet sich die sorgsam getrennte Mandarine dann in deinem Mund erfährst du, dass deine Eltern dir eine gewaltige Aufgabe auferlegt haben. Du sollst mit dem Mund den Kern erfühlen, der sich in dein Obst geschlichen hat und ihn fachmännisch entfernen, ohne ihn mitzuessen.
Was nun für andere optisch wahrnehmbar in deinem Gesicht passiert, ist schwierig zu beschreiben. Am ehesten könnte man es wohl damit gleichsetzen, ein köchelndes Gulasch für drei Stunden cremig zu rühren, oder aber die Waschmaschine mit zu viel Ladung und zu hohem Schleudergang einzuschalten.
Die Zentrifugalkraft, die deine winzige Zunge entfaltet, katapultiert den Inhalt deines Mundes derart wuchtig nach außen, dass später auch in drei Metern Entfernung noch Spuren von Mandarinen zu finden sind.
Zwar befindet sich nach gefühlten fünfunddreißig Stunden kein Partikel Mandarine mehr in deinem Mund, dafür aber der Kern, sauber abgetrennt. Du spuckst ihn aus und erhältst dafür viel Lob von zart orange eingefärbten Elterngesichtern.
Alexander der Große, Katharina die Große – sie alle hatten etwas gemeinsam: den völlig übertriebenen Beinamen, bei einer Körpergröße von unter 1,60, ihre Liebe zu Pferden (nur für Geschichtskundige) und die Fähigkeit, auf einer Schaukel zu schaukeln, die nur aus Ketten und einem Brett bestand.
Bisher musstest du in einen Schaukel-Käfig gesteckt werden, da dir noch niemand zugetraut hat, dich beim Schaukeln selbst festzuhalten. Nun jedoch war der magische Moment gekommen.
Deine kleinen Finger umklammern die Ketten und du sitzt einigermaßen sicher auf einem geraden Stück Plastik, welches eindeutig eine maximale Tragelast hat, die aber keiner kennt.
Denn: wenn der Hintern nicht mehr zwischen die beiden sehr eng beieinander angebrachten Ketten passt, dann ist man zu fett und damit zu schwer. Fachleute sprechen hier von der DIN-P0P0.


K.I.N.D.: Die Geschwindigkeit des Rutschvorgangs katapultiert dich noch immer sehr schnell nach unten, aber du kannst den Winkel der Beine und den richtigen Zeitpunkt für das Ausklappen des Fahrwerkes korrekt bestimmen.
So beendest du das Rutschen stehend. Das sieht nicht nur professionell aus, sondern schont auch die rückwärtige Seite deiner Hose.
Alter Mann: Gern lässt sich ein Kind nach dem Rutschen auffangen. Diese Dienstleistung gewährt ihm einen gewissen Rückhalt und Sicherheit.
Auffangenden Papas gewährt dies nur eines, dank physiologischer und physikalischer Effekte: Die Füße des Kindes kommen zwischen denen des Fangenden auf, und die Trägheit sorgt dafür, dass der Rest des Kinderkörpers nachzieht, ähnlich wie ein Sprungbrett im Schwimmbad.
Die Knautschzone kann dabei nicht geschützt werden – beide Arme halten das Kind.
Und so endet ein Rutschen wie so vieles im Leben: mit einem Treffer in die Eier. Ein Geschwisterchen wird wohl nicht mehr gewünscht.
Ein Flugkörper kreuzt den Himmel über dir. Bei ungenauem Hinsehen war es definitiv ein Überschallbomber der neuesten Generation – mit Tarnkappentechnologie, mindestens.
Bei genauem Hinsehen ist es ein Rotkehlchen – der neuesten Generation quasi. Nur ohne Tarnkappe.
Während sich der kleine Vogel fortbewegt, verfolgst du ihn mit den Augen. Irgendwann ist jedoch Schluss, und deine Pupillen stoßen an den Rand. Der Rand ist dein Gesicht und hat inmitten der Augenhöhle rein gar nichts interessantes zu bieten, weshalb du dort auch nicht nachsehen darfst. Das Rotkehlchen entkommt deinem Blick und schwirrt von dannen.
Nur wenig später erblickst du einen neuen Überschallbomber. Diesmal ist es eine Amsel, die sich zumindest am Überschall versucht, und dabei fast mit einem Baum kollidiert.
Du bist vorbereitet: deine Augenhöhle soll dir den Blick nicht mehr versperren, und du tust das Unvorstellbare – du drehst den Kopf mit deinem Blick. Die Amsel kann dir nicht mehr entkommen und du folgst ihrem Flug mit absoluter Genauigkeit. Bis du selbst gegen einen Baum prallst.
In der Ferne hört man ein Zwitschern, das wie ein zartes Lachen klingt.


Deine Schwester, die Familienkatze, macht ihr Geschäft wohl in einer kleinen Plastikschale. Zumindest haben wir das deine Eltern so erklärt, als du gefragt hast, warum die Katze immer so zart grinsend aus der Plastikschale herausschaut.
Allerdings möchte sie damit nicht ausdrücken, dass es dort so schön ist. Nein, es soll heißen: „Ätsch, du kannst bald wieder mein Klo sauber machen. ABER ORDENTLICH! Und gib mir endlich Essen!“ (Wirklich. Ich habe das fachkundig übersetzen lassen.)
Zweierlei: du bist gerne auf dem Klo und du isst gern. Wenn deine katzenhafte Schwester dort solch ein Erlebnis hat, dann musst du es unbedingt mal ausprobieren.
Und so findet man dich dann auch in einer prekären Situation vor. Vorsichtig umschrieben ist dein kleiner Popo an einer anderen Lokalität zu finden als der Rest deines Körpers.
Einfach weil eine Katze viel kleiner ist als du, und ohne Schwierigkeiten ins Katzenklo gehen kann, auf dem auch eine Plastehaube sitzt und das deswegen einen recht winzigen Eingang hat.
Deine glorreiche Idee, deinen blanken Hintern durch die Öffnung zu stecken, endet mit einem Gesichtsausdruck, der nach Hilfe zu schreien scheint, wobei du es aber vor Lachen nicht schaffst, so ernst zu gucken.
Nur mit Glück, und der oben bereits erwähnten Brechstange, die seitdem immer griffbereit im Badezimmer steht, kann man dich wieder lösen.
Die Feuerwehr hätte das nicht geschafft – vor Lachen wären alle Feuerwehrleute schlagartig arbeitsunfähig gewesen.
Mama führt fachmännisch ein beeindruckendes Gerät vor sich her, mit welchem sie Unmengen an Blattwerk von der Wiese hinwegfegt.
Papa tobt sich mit dem völlig verbogenen Dreizack der sieben Meere in einem Beet aus und hat sichtlich Spaß dabei, stumpfsinnig Erde zu malträtieren.
Angestachelt durch diese deine Beobachtungen möchtest du es ihnen gleichtun und bittest darum, mitmachen zu dürfen.
Aber klar darfst du! Und als du voller Vorfreude auf die nahende Zerstörung allen irdischen Grüns wartest, eilen deine Eltern mit Werkzeug daher, um dich an die erste legale Form der Kinderarbeit heranzuführen.
Und dann bekommst du dein eigenes Werkzeug in die Hand gedrückt. Es ist aus Plastik und wurde wohl mit pürierten Fröschen eingefärbt, denn nur so ist dieser strahlend grüne Farbton zu erklären. Weiterhin ist es wesentlich kleiner, als du erhofft hattest. Und aus Plastik. Immer noch.
Beim ersten Einsatz stellst du fest: damit kann man ein Blatt vom Rasen entfernen. Eines. Ein Blatt. Ein lausiges Blatt. Und das nach einer gefühlten Ewigkeit.
Auch fühlt sich der Vorgang selbst eher wie eine Spa-Behandlung für Blätter an, da es mehr in Richtung streicheln geht.
Enttäuscht gehst du doch wieder spielen. Kinderarbeit ist einfach nichts für dich.
Und so spielst du weiter mit deinem Rechen. Wenn man spielt, ist es nämlich keine Arbeit.
